Jüttner´s militärisches Wirken im März / April 1945

Vorbemerkungen: Im Februar 1992 habe ich mit der Recherche zu den letzten Kriegstagen in meiner Heimat, dem Kreis Altenkirchen begonnen. Zweck dieser Forschung war ganz einfach die schrecklichen Ereignisse von März / April 1945 für kommende Generationen festzuhalten und zugänglich zumachen.
Im Zuge meiner Ermittlungen stieß ich irgendwann auf eine deutsche Division, die an den Kämpfen im Raum Remagen teilnahm, später an der Siegfront zum Einsatz kam und im Ruhrkessel ihr Ende fand. Die Rede ist hier von der 62. (schlesischen) Volksgrenadier Division, im Herbst 1944 auf dem Truppenübungsplatz Neuhammer / Schlesien neu Aufgestellt.
Auffällig war, dass es im Bereich dieser Division fast zu keinen Ortskämpfen gekommen ist und die Schäden und Beeinträchtigungen für die Bevölkerung nur gering ausfielen. Zur gleichen Zeit kam es bei den benachbarten Divisionen zu heftigsten Ortskämpfen und Artillerieduellen zwischen den deutschen und amerikanischen Verbänden, die sich entlang der Sieg gegenüberlagen - so auch in Betzdorf, meiner Heimat- und Geburtsstadt. Diese Begebenheit verleitete mich dazu, doch mehr über die 62. Volksgrenadier Division zu erfahren.
Irgendwann stieß ich auf den Namen Arthur Jüttner, der dann auch immer wieder genannt wurde. Also wollte ich mehr wissen und stellte weitere Fragen: Nun, wer ist denn dieser Arthur Jüttner überhaupt ? Wieso kam es im Bereich der Division in nur zwei Ortschaften zu Häuserkämpfen ? Warum war das Feldersatz Bataillon mit einer Gesamtstärke von nahezu 600 Mann zur Reserve erkoren worden ? Auf diese Fragen sollte ich teilweise erst nach einigen Jahren Antworten finden, wovon nicht eine einzige auch nur andeutungsweise ins Negative ging. Jeder der über Jüttner sprach / spricht, lobt(e) diesen in den höchsten Tönen.
Am 12. Dezember 1998 telefonierte ich erstmalig mit Oberst a.D. Jüttner. Diesem folgten zwei weitere Telefonate, in deren Verlauf ich Arthur Jüttner ein wenig näher kennenlernen durfte. Leider läßt sein Gesundheitszustand es nicht mehr zu, den persönlichen Kontakt zu ihm aufrecht zu erhalten. Seit meinem erstem Telefonat mit ihm gehöre ich zu den Menschen, die Jüttner in hohen Tönen loben, im Sommer 1999 erhielt ich verschiedene Dokumente und Befehle, aus denen sich Jüttner´s Charaktereigenschaften sehr gut nachvollziehen lassen. Seither gehöre ich zu den Menschen, die ins Schwärmen geraten, wenn man von Jüttner spricht. Wenn Jüttner durch seine Auszeichnungen zu einem Helden der damaligen Wehrmacht wurde, so machen die erhaltenen Dokumente einen Helden der Menschlichkeit aus ihm.
Ich wünsche Herrn Arthur Jüttner mehr als alles Gute. Denn den Verdiensten dieses Mannes ist es zu Danken, dass der Bevölkerung großer Teile des Westerwaldes, des Wildenburger - und Siegerland viel Leid erspart wurde. Trotz der Gefahr, selbst durch ein sogenanntes "Fliegendes Standgericht" verurteilt zu werden, setzte sich Jüttner täglich bewußt der Gefahr aus mit dem Ziel, möglichst viele Menschenleben zu retten, was ihm auch sehr wohl gelungen ist. Lesen Sie selbst die Ergebnisse meiner Recherche zu dem wohl außergewöhnlichstem Offizier der damaligen Wehrmacht.

10. März 1945 - Beauftragung mit der Führung der 62. VGD / Raum Königswinter

Jüttner sollte als Kampfkommandant von Bonn Verwendung finden, durch den Tod seiner Ehefrau kam es hierzu jedoch nicht, da Jüttner wegen diesem Schicksalsschlag seit dem 24. Februar Sonderurlaub erhalten hatte. Als er am 10. März wieder zur Division zurückkehrt, wird er mit Befehl des Korps zum Divisionsführer ernannt. Die Division verlegt in den Raum Oberkassel - Dollendorf - Königswinter. Hier nimmt die Division an Kämpfen um den Brückenkopf von Remagen teil.

16. März 1945 - Verbotene Verhandlungen mit den Amerikanern

Ein Memorandum verfaßt durch Dr. von Weiss, dem Schweizer Generalkonsul, belegt die Bemühungen und Gefahren, welcher sich Jüttner aussetzte. Inhalt dieses Memorandum sind die Verhandlungen über die Evakuierung / Nichtbeschießung der Lazarette in Rhöndorf und Königswinter. Der Oberleutnant Dieter Hanke, 1. Ordonnanzoffizier im Stab der 62. VGD hält in seinen Aufzeichnungen folgendes fest: "...Es blieb nur zu hoffen, dass keine vorgesetzte Dienststelle von dieser Aktion erfuhr. Alle wußten, wie die Oberste Führung über solche Vereinbarungen dachte und darauf reagierte. Es war klar, dass Kopf und Kragen riskiert wurde...viele Menschenleben wurden gerettet und die Häuser erhalten. Die Ortschaften (im Bereich der 62. VGD) auf dem linken und rechten Rheinufer haben nach diesem Gespräch keinen Artilleriebeschuß, geschweige den Luftangriffe über sich ergehen lassen müssen."

17. März 1945 - Kampf um kleinen und großen Ölberg im Siebengebirge

Bei diesen Kämpfen wurden erstmals nach langer Ruhepause wieder Teile des Feldersatz Bataillon 162 zum Kampf eingesetzt. Kurt Prinz, Oberleutnant und Führer des vom FEB abgesplitterten Kampfbataillon 162 gelingt das Husarenstück und verteidigt den Ölberg gegen eine Übermacht bis Oberst Jüttner ihn am nächsten Morgen zurückholt, um unnötige Verluste zu vermeiden. Dies ist wohl einer der allerletzten Kampfeinsätze für das FEB 162. So marschierte östlich des Rheins das Feldersatz Bataillon unter der Führung des Oberleutnant Johannes Baczewski mit einem Mannschaftsbestand von nahezu 600 Mann. Die Leutnants Cieplik und Riedel hatten Weisung erhalten, sämtliche Soldaten, die angetroffen werden, unmittelbar dem FEB 162 zuzuführen. Geschickt wurden diese Leute geführt, aus Gefechten ferngehalten und durch die Führung immer wieder in Richtung Heimat entlassen, noch lange bevor es zur Kapitulation im Ruhrkessel kam...Zum Vergleich: Das Feldersatz Bataillon der 59.VGD hatte am 4.4.1945 nur noch eine Stärke von ca. 120 Mann, war verstärkt worden durch Volkssturm und Polizeieinheiten und stand im Raum Mudersbach - Niederschelden im Kampf.

20. März 1945 - Verteidigung Raum im Oberpleis

Schwere Kämpfe ereignen sich im Raum Oberpleis - Uckerath - Eitorf. Im Verlauf der Kämpfe können die Amerikaner am 23. März 1945 bei Dondorf bis nahe an die Sieg gelangen. Trotz dieser Gefährdung für die eigene Flanke verteidigte die 62. VGD noch den Abschnitt von Buisdorf bis nach Dondorf, südlich von Blankenberg konnten die Stellungen ebenfalls noch gehalten werden, obgleich diese bereits weit umgangen waren. Nachdem die Amerikaner am 25. und 26. März aus dem Brückenkopf Remagen ausgebrochen sind, entläßt Jüttner viele Soldaten, die im Westen zu Hause sind.
Aussage des Unteroffizier Georg Dick über den schlesischen Oberst: "Oberst Jüttner war ein ganz scharfer Hund ! Völlig fehl in der Stellung als Kommandeur ! Diesen Mann habe ich mir gewünscht als Kameraden im Deckungsloch ! Wäre der Oberst nicht gewesen, glaube ich, dann wäre wohl die ganze 62 VGD in den Wäldern um Hennef ohne jegliche Chance aufgerieben worden ! Durch seine Führung war es uns immer wieder gelungen, eine zusammenhängende Frontlinie zu bilden. - Trotz des großen Mangels an Personal ! Wir hatten oft das Gefühl, der Oberst kennt jeden Schritt der Amerikaner lange im Voraus ! Oberst Jüttner führte seine Division mit aller Härte, war jedoch zugleich ausnahmslos gerecht. Der Oberst war mehr ein Freund als ein Offizier ! In den vier Jahren Kriegsdienst habe ich noch nie zuvor einen vergleichbaren Offizier kennengelernt."
Da auch bei der 62. VGD ein durchschlagender Erfolg nicht eintrat und keine Fortschritte zu erzielen waren, wurde dieser Frontabschnitt in der Nacht vom 25. auf den 26. März auf das Nordufer der Sieg zurückgenommen.

27. bis 30. März 1945 - Auffrischung der Division im Raum Waldbröl / Schönenbach

Nach den heftigen Kämpfen der vorherigen Tage werden die Reste der 62. Volksgrenadier Division aus der Front gezogen und in den Raum Waldbröl verlegt. Dort verbleibt die Division bis man durch das LVIII. Panzerkorps den Befehl erhält, sofort an die Sieg in den Raum Betzdorf - Wissen zu verlegen.

31. März bis 8. April 1945 - Kampf um die Siegfront

Am 31. März 1945 erhielt Oberst Artur Jüttner den Befehl, die 62. VGD in den neuen Einsatzraum zwischen Wissen und Betzdorf zu verlegen. Die Division verfügte noch über zwei intakte Artillerieabteilungen die von Major Giersberg befehligt wurden. Zudem war noch eine gut ausgerüstete Kompanie Sturmgeschütze vorhanden. Die drei Grenadierregimenter waren als äußerst schwach anzusehen, da diese in den vergangenen Kämpfen südlich der Sieg relativ hohe Verluste erlitten hatten. Über Morsbach, Alzen und Birken - Honigessen marschierte die Division in den neuen Einsatzraum. Den Gefechtsstand ließ Jüttner wie sein Vorgänger, General Engel (Kommadeur der 12. Volksgrenadier Division) in Alzen einrichten. Die ersten Teile des 183. Infanterie Regimentes erreichten die Stellungen an der Sieg während der frühen Abendstunden des 1. April. Die letzten Teile erreichten die Sieg erst am 3. April. Die Regimenter bezogen folgende Stellungen: Regt. 164 von Wissen (ausschl.) bis Mühlenberg (einschl.), Regt. 183 von Mühlenberg bis einschließlich Wallmenroth. Das FEB 162 und Regt. 190 stehen als Reserven zur Verfügung und gehen im Raum Katzwinkel - Elkhausen in Stellung. Die Divisionsartillerie zieht tief gestaffelt hinter den beiden Regimentern unter. Regt. 164 richtet den Gefechtsstand in Mühlenthal ein, Regt. 183 in Hof Dasberg, FEB 162 in Hof Steeg und das Regt. 190 in Hönnigen.
Am Abend des 1. April 1945 erschien Oberst Jüttner zusammen mit Major Hübner (Ia der Division) auf dem Gefechtsstand des FEB 162 zur Lagebesprechung. Hier war die aus Köln evakuierte Frau Irmgard Weber zugegen. Als die Lagebesprechung gegen Mitternacht einen lauteren Geräuschpegel erreichte, bat Frau Weber die Herren doch aus Rücksicht auf die Kinder ein wenig Ruhiger zu sein. Dem Antwortete Jüttner, dass es jetzt nur noch wenige laute Tage geben würde, dann wäre der Krieg zu Ende.
Etwa um den 2. April erhielt Oberleutnant Baczewski den Befehl, einen Offizier mit einigen Unteroffizieren zur Heranführung eines HJ - und Volkssturmbataillons abzustellen. Er stellte den Leutnant Georg Riedel mit einigen Unteroffizieren ab. Sie erschienen am Abend des selben Tages und meldeten, dass das HJ - Bataillon aus 14 - 15 Jahre alten Kindern bestehen würde und das Volkssturmbataillon nur alte Opas wären, die Leutnant Riedel gleich nach Hause geschickt hatte. Da für diese 400 Männer weder Waffen noch Verpflegung vorhanden waren, wurde von Major Hübner befohlen, alle "lautlos" nach Hause zu schicken. Der Befehl wurde ausgeführt und in kleinen Gruppen zogen alle wieder Heim, bis auf einige Jungen, die sich in den Kompanien verkrümelten. Diese Heimschickung wurde getarnt und man hatte erklärt, es sei nur eine vorübergehende Maßnahme und jeder müsse in Alarmbereitschaft bleiben.
In der Folgezeit kommt es im Divisionsbereich nur zu Waldkämpfen bis auf zwei Ausnahmen. Zum einen das Gefecht am 2.4.1945 in Niederhövels und zum anderen wenige Tage später zum Gefecht um die kleine Ortschaft Steeg, gelegen an der Verbindungsstraße zwischen Friesenhagen und Morsbach.
Am 1. April 1945 befiehlt Oberst Jüttner seinen Regimentern: "...die Stellungen sind so anzulegen, dass nach aller Möglichkeit Ortschaften auszugrenzen sind... nicht benötigte Teile werden vorerst dazu abgestellt, entlang der beherrschenden Höhen (vorzugsweise waldiges Höhengelände) weiteren Stellungsbau zu betreiben..." Punkt 2 der Weisung richtet sich an die Artillerieabteilung: "...bekämpf von nun an nur noch erkannte Feindkräfte. Mutmaßliche Feindstellungen sind durch Artilleriebeobachter zuvor auszukundschaften. Angreifende Feindverbände während des Vorstoßes abwarten und nicht in bewohnten Gebieten bekämpfen..." Beendet wird diese Weisung mit einer Danksagung an die Soldaten der 62. VGD. Ein weiteres Schriftstück mit der Operations Tagebuchnummer 422 enthält unter Punkt 5 folgendes: "Ab sofort ist es unter Androhung schwerster Strafen verboten, Genesende oder Verwundete zu weiteren Verteidigungszwecken in vorderer Linie einzusetzen."
Diese beiden Dokumente, die durch Arthur Jüttner persönlich unterzeichnet sind, zeigen wie sehr die Divisionsführung mir der Bevölkerung verbunden war. Wegen diesen Schriftstücken hätte sich Jüttner sehr schnell vor einem Kriegsgericht wiederfinden können. Ein wichtiger Umstand auf der Weisung: Das Schriftstück trägt keinerlei KTB - Nummern, ist somit kein offizieller Befehl, also nur für wenige Eingeweihte bestimmt. Im Gegensatz zu sämtlichen anderen deutschen Divisionen, die entlang der Siegfront in Stellung gegangen waren, kam es im Bereich der 62. VGD fast ausschließlich nur zu Waldkämpfen. Für seine Art der Kriegsführung wurde Jüttner im April 1945 (während der Verleihung der Schwerter im Raum Morsbach) durch seine Vorgesetzten Harpe (5.Pz.Armee) und Botsch (LVIII.Pz.Korps) unter Berufung auf den Führerbefehl (dem sogenannten Nero - Befehl) entsprechend bedroht. Verglichen hierzu wurden im Bereich der 363. VGD (rechter Nachbar mit Frontgrenze Wissen) oder 59.VGD (linker Nachbar Grenze Betzdorf / Wallmenroth) ohne Rücksicht auf die Bevölkerung Stellungen angelegt, Ortschaften verteidigt und gleichermaßen durch die eigene Artillerie mit Granaten bedeckt. Ebenso war es für die Führung der 62. VGD von Wichtigkeit, ein hohes Pensum an Menschenleben einzusparen und zu schonen.
Das ist auch das Bild, welches amerikanische Veteranen noch heute von dem hoch ausgezeichnetem Oberst (Ritterkreuz, Eichenlaub u. Schwerte) kennen. Selbst bei amerikanischen Veteranen löst der Name Artur Jüttner noch heute eine große Ehrerbietung aus. Edward Bleeds, ehem. Soldat in der 78. US.Inf.Div (die Div. lag der 62.VGD während der Kämpfe an der Sieg gegenüber).: "Jüttner ? Ja ein sehr guter deutscher Offizier ! Manchmal glaubte ich, einer der besten !"