Höchstpersönliche Erinnerungen / Kurt Schwerdt / Oberleutnant / Gren.Regt.164 / 62. Volksgrenadier Division

 

 „Nach den Kämpfen in Russland verlor ich 1941 meine rechte Hand und wurde einarmig als Lehroffizier an die Infanterieschule Döberitz versetzt. Bei dieser Heeresausbildungsschule ereignete sich nach der Zündung eines dann zu früh explodierenden Sprengkörpers – der den Auszubildenden feindliches Artilleriefeuer andeuten sollte – ein für mich folgenschwerer Unfall. Daraufhin wurde 1943 in Döberitz auch meine linke Hand amputiert. Im Lazarett versuchte ich mir das Leben zu nehmen, was mir wegen der fehlenden Hände nicht gelang. 

Davon erfuhr mein ehemaliger Infanterieschule – Lehrgruppenkommandeur, Oberst Berger (später Generalmajor). Er schrieb mir einen langen handschriftlichen Brief aus seinem Gefechtsstand vor Leningrad, mit dem Schlusswort: „Kurtchen, mach weiter, ich habe das Oberkommando des Heeres gebeten Dich als aktiven Offizier zum Jurastudium zu kommandieren.“ So kam ich 1943 nach Marburg / Lahn... dass sollte sich aber im Herbst 1944 sehr schnell ändern. Als über Volksempfänger der und Aufruf zur Bildung des Volkssturmes verkündet wurde, war für mich sofort klar, wenn nun auch die Kinder und die alten Männer rann müssen, dann muss auch ich wieder zurück an die Front ! Aus Verantwortung und Pflichtgefühl meldete ich mich bei meinem damaligem Vorgesetztem, der mit schwerer Verwundung selbst im Lazarett gelegen hatte. Von ihm benötigte ich eine Empfehlung, das ich trotz meiner fehlenden Hände noch immer Einsatzfähig bin.

Das Oberkommando des Heeres bot mir daraufhin (wegen den Hinrichtungen im OKH nach dem Attentat auf Hitler) eine Majorsstelle an, was ich mit den Worten ablehnte: „Verwendung entweder in einem Infanterieregiment an der Front, oder zurück zum Studium nach Marburg“. Das OKH schickte mich daraufhin nach Neuhammer in Schlesien zur 62. Infanterie Division, die sich dort gerade in Neuaufstellung befand. Bei einem gewissem Oberst Artur Jüttner sollte ich mich melden. Als ich im Oktober 1944 dort angelangt war, und mich bei Jüttner gemeldet hatte, war dieser wegen meiner fehlenden Hände sehr skeptisch, und wollte mich nach Marburg zurückschicken, ich machte ihm ein Angebot: „Nehmen sie mich nur 14 Tage auf Probe, dann können sie sich immer noch entscheiden, ob sie mich wieder wegschicken, oder aber ob ich bleiben soll !“ Jüttner nahm mein Angebot an. Nun ging es zum ersten Mal nach langer Zeit wieder raus ins Feld. Es war Kalt, Nass und Dreckig. Die nächste Zeit wurde ziemlich schlimm für mich, das ich mich nach einiger Zeit mit dem Gedanken befasste, wieder auszusteigen, und mich auf den Rückweg nach Marburg zu begeben. Jedoch noch bevor die Frist von 14 Tagen abgelaufen war, kam Oberst Jüttner zu mir und sagte: Sie sind mein Mann ! Sie können bleiben und werden mein Regiments – Adjutant !“

 


Bild oben: Kurt als Rekrut

Bild unten: Kurt in Neuhammer


Oben: Kurt Schwerdt zusammen mit einem Kameraden in Döberitz.
Kurze Zeit nach dieser Aufnahme verlor Kurt durch Explosionsunglück die linke Hand.
Fotografie nachträglich coloriert.


Abbildung Links: Oberst Arthur Jüttner (dritter von Links) und sein Regimentsadjutant Oberleutnant Kurt Schwerdt (rechts daneben) im Kreise von 5 Trägern des Eisernen Kreuzes. Aufschrift auf der Rückseite der Fotografie: „16. September 1944 – noch mal (ohne Hände) rein in die Scheiße (Eifeloffensive – Ruhrkessel)“

Schwerdt war der einzige „Ohnhänder“ in vorderster Linie, er bekam von Jüttner 16 Nahkampftage in sein Soldbuch eingetragen und wurde zur Verleihung des Ritterkreuzes vorgeschlagen. Zur Verleihung kam es jedoch durch den Fall des Ruhrkessels nicht mehr. Als Adjutant von Jüttner stieß er im Herbst 1944 zur Division und war beim Zusammenbruch des Ruhrkessels im April 1945 der letzte Führer des Regiments 164. 



Bild Oben: Der Stab des Regiments 164 der 62. V.G.D. beim Stellungswechsel. Vorne Links: Kurt Schwerdt.


Kurz darauf steckten wir mitten in der Ardennenoffensive im Westen. Im Januar verteidigte unser Regiment den Abschnitt zwischen Salmchateau und Neuville. Im Februar kämpften wir schon um den Westwall und im März wurde Oberst Jüttner Kommandeur der 62. Division. Wir befanden uns nun seit der Ardennenoffensive auf dem Rückzug und hatten jetzt an den Kämpfen um den Remagener Brückenkopf teilgenommen. Irgendwann darauf lagen wir an der Siegfront zwischen Betzdorf und Wissen. Hier kam es immer wieder zu Waldkämpfen mit den Amerikanern, die im Bereich der Division über die Sieg vorfühlten.

Das 164. Regiment wurde durch den Kampfverlauf der nächsten Tage immer schwächer, und sollte für ein oder zwei Tage aus der Front zur Auffrischung herausgelöst werden. Jedoch kam es immer wieder zu amerikanischen Angriffen, und die Truppe, die uns Ersetzen sollte, kam nicht pünktlich an. Während einer Nacht, ich lag im Keller des Hauses, in dem wir unseren Gefechtsstand hatten, kam ein Melder zu mir und sagte: „Herr Oberleutnant, drei Häuser weiter ist ein Bataillon von der Nachbar­division untergekommen, die wollen da übernachten und am nächsten Morgen weiter marschieren !“ Darauf rief ich den eigenen Divisionsgefechtsstand an, und habe den Ia darum gebeten, mir Befehl zu Erteilen, dass ich die Truppe vereinnehmen darf ! Als man mir den Befehl erteilte, habe ich einen Melder mit dem Divisions­befehl rüber geschickt. Darauf kam der Hauptmann zur mir in den Keller und sagte: „Sie können mir überhaupt keinen Befehl geben ! Ich gehe am nächsten Morgen zu meiner Division zurück, und melde mich da !“ Ich antwortete ihm darauf:

„Passen Sie mal auf, hier ist mein Befehl, und der gilt für Sie, und den haben Sie auszuführen !“ Er sagte, ich könnte ihn mal sonst wo begegnen und ging raus. Ich ging hinter ihm her, und sagte: „Ich wiederhole den Befehl meiner Division, dass ihr Bataillon vereinnahmt ist, und hier die Stellung zu beziehen haben !“ Der Hauptmann ging immer weiter und ich hinter ihm her und habe gesagt: „Herr Hauptmann, ich zähle bis drei ! Dann schlage ich zu !“ Dann habe ich bis drei gezählt, und habe ihm von hinten meine Holzhand auf die Nase gewuchtet. Aber der hatte in der Dunkelheit gar nicht gesehen, das ich eine Prothese hatte, und dachte wohl, da kommt ein Offizier und haut mir mit einem Holzknüppel einen über die Schnauze, und das macht man nicht unter Offizieren ! Darauf zog er seine Pistole, und wollte mich erschießen. Gott sei dank kam mein Regiments – Arzt hinter mir her und nahm seine Taschenlampe, und leuchtete auf den Hauptmann mit der Pistole in seiner Hand. Erst da steckte er die Waffe weg, sonst hätte er mich wohl erschossen ! Danach hatte sein Bataillon unsere Einheit abgelöst, und wir wurden für eine kurze Zeit zur Auffrischung aus der Front genommen.

Da wir eigentlich nach fast jedem Angriff der Amerikaner schnell zerfleddert waren, mussten wir immer in der Nacht zurück, und versuchen eine neue Stellung aufzubauen. So sah das Bild der nächsten Tage aus. Am 17. April waren wir schon bis nach Wuppertal / Vohwinkel zurück gedrängt worden, und das Regi­ment 164 war nur noch ca. 30 – 40 Mann stark. Als dann der Ruhr – Kessel gefallen war, erhielten wir den letzten Divisionsbefehl:

Freiwillige sollten aus dem Kessel auszubrechen und in Fulda (wo zu diesem Zeitpunkt schon die Amerikaner waren) sammeln. Ich hatte die Reste des Regiments in Zweier – Gruppen aufgeteilt, dann ging es los.


Abbildung Oben: Sämtliche Offiziere, die im Dezember 1944 im Regiment 164 ihren Dienst versahen. Vordere Reihe, fünfter von links: Oberst Artur Jüttner, damals noch Regimentskommandeur, rechts daneben Major Jüttner, er war der Kommandeur des 1. Bataillon, daneben Oberleutnant Kurt Schwerdt. Rechts neben Schwerdt steht Oberleutnant Konrad, er war Kompaniechef der 14. Kompanie im 2. Bataillon und kam im April 1945 in Niederhövels in alliierte Gefangenschaft.


Schon wenige Tage später war für mich der Krieg zu Ende, denn es war mir gelungen, mich nach Mar­burg, der Stadt meiner Studienzeit, durchzuschla­gen. Aber wie, das sei hier noch erzählt.

Der Ruhrkessel war klein und eng geworden. Etwa 40 Unteroffiziere und Soldaten lagen um meinen Gefechtsstand herum und warteten auf den letzten Angriff der Amerikaner. Wir wollten den letzten von mir weitergegebenen Divisionsbefehl befolgen und in Kleinstgruppen aus der amerikanischen Umklammerung ausbrechen.

Ich tat mich mit einem 16jährigen Volkssturm – Jungen zusammen und befahl ihm im Wald kurz vor den amerikanischen Linien, er solle mir meine, sowie auch seine Uniform ausziehen und alles eintauschen in der am Stadtrand von Vohwinkel liegenden Gärtnerei, gegen 2 Hemden für uns, eine kurze Jungenhose für ihn und eine Männerhose für mich. Der Gärtner und seine Frau waren einver­standen, zumal auch mein Ledermantel dabei war. So lagen wir dann neu eingekleidet am Waldrand in Deckung und sahen 600 m vor uns auf freiem Feld amerikanische Panzer stehen, dazwischen und dahinter Infanterie, bereit zum letzten Gefecht. Bevor der erste Schuss fiel, wollte ich raus aus dem Schla­massel und befahl dem Jungen: „Siehst du den Panzer da vor uns, auf den gehen wir direkt drauf zu !“ Er: „Jawohl Herr Oberleutnant !“ Zunächst passierte gar nichts, – wir waren ja zwei Zivilisten. Als wir 200 m vor „unserem“ Panzer waren, drehte sich das Kanonenrohr, und zwar genau auf uns zu. Uns beiden ging der „Arsch auf Grundeis“, wie wir damals zu sagen pflegten. Als ich merkte, dass der Junge sich „in die Hose scheißen“ wollte, schrie ich ihn an – mir ging ja auch „die Muffe“: „Wir singen jetzt ein Lied !“ Daraufhin er, ganz kleinlaut: „Welches denn, Herr Oberleutnant ?“ Ich überlegte, dann schrie ich: „Das Wandern ist des Müllers Lust, 3, 4 !“ Nach den ersten zwei Zeilen schrie ich: „Lauter !“ Daraufhin – wir waren bis auf 50m an „unseren“ Panzer herangekommen – ging die Panzer­klappe hoch und ein Captain stieg aus, ging auf uns zu, um uns zu vereinnahmen (auch „Zivilisten“ im dienstfähigen Alter wurden im Ruhrkessel in die überfüllten Gefangenenlager verbracht). Und nun das letzte militärische Kapitel:

Als ich in Hemd und Hose auf den Captain zuging, bemerkte ich, wie er fasziniert auf meinen linken Armstumpf und meine rechte Holzhand guckte. Er wollte sprechen, aber es verschlug ihm die Sprache. In diesem Moment reagierte ich spontan: „Captain, you have a Cigarett for me ?“ Er guckte immer noch auf meine fehlenden Hände, fasste unwillkürlich in die linke Tasche seines Uniformhemdes, holte eine braune Viererpackung „Philipp Morris“ – ich weis es heute noch ganz genau – heraus reichte sie aber noch nicht zu mir rüber. Daraufhin griff ich zu, nahm ihm die Schachtel mit meinen Prothesenfingern aus der Hand und sagte: „Captain, I thank you very much !“, faßte den Jungen unter den Arm, und wir gingen unbehelligt von den Panzerbesatzungen und den dahinter liegenden, einigen hundert auf ihren Angriffsbefehl wartenden Infan­teristen durch die feindlichen Linien.

Mit einem in Wuppertal geborgten Fahrrad fuhr ich zwei Tage lang bis ich wieder in meinem so sehr geliebten Marburg war.

Dass ich dahin unversehrt zurückkehren durfte, daran habe ich in den letzten Kriegsmonaten nie gezweifelt, trotz der 16 Nahkampftage, die mir Oberst Artur Jüttner in mein heute noch vorhandenes Soldbuch eintragen ließ: „Ohne Hände !“



Kurt Schwerdt´s Nahkampftage


Kurt als Rekrut als Wachsoldat in Burg bei Magdeburg


Kurt Schwerdt wurde durch Arthur Jüttner noch für das
Deutsche Kreuz in Gold und für das Ritterkreuz vorgeschlagen.


Brief an General a.D. Friedrich Kittel